Foto Frau liest Buch von Ben White auf Unsplash

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Schwarze Pädagogik: Erziehungsmythen und fragwürdige Ratgeber

 

Alle Eltern mit Babys und kleinen Kindern kennen das: Man wird von Freunden und Verwandten überhäuft mit gutgemeinten Ratschlägen und Erziehungstipps für die Kindererziehung. Nicht selten wird ihnen auch der eine oder andere Erziehungsratgeber besonders ans Herz gelegt. Doch sind sie alle uneingeschränkt zu empfehlen? Oder sollten frischgebackene Eltern von manchen Titeln lieber Abstand nehmen?

„Weil es immer schon so war“ – bekannte Erziehungsmythen und anderer Unfug

Besonders von älteren Familienangehörigen wie etwa der Großmutter bekommen junge Mütter oft Erziehungsmythen serviert, die sie besser erst hinterfragen sollten. Hier fünf der besonders weit verbreiteten „Tipps“ und die aktuelle pädagogische Haltung dazu:

1. „Strafen und strenge Regeln sind notwendig, um keine Tyrannen zu erziehen“

Wichtig ist zuallererst die Unterscheidung zwischen Strafe und Konsequenz. Eine Konsequenz steht in direktem Zusammenhang mit der „Tat“, eine Strafe hingegen kann das Kind nicht logisch mit seinem Handeln in Verbindung bringen. Auch klare Regeln sind wichtig, damit sich das Kind daran orientieren kann und Halt findet. Unnötige Regeln und ein verschwenderisch verwendetes „Nein“ sind jedoch kontraproduktiv bei der Kindererziehung, weil Kinder ihre Welt selbst erforschen und erfahren müssen.

So lange keine Gefahr droht, sollte man so viel wie möglich zulassen, auch wenn man dafür später ein wenig den Putzlappen schwingen oder die CDs wieder neu ordnen muss.

Beim Verwöhnen sollte man zwischen emotionaler Zuneigung und materiellem Verwöhnen unterscheiden. Liebe, Körperkontakt und Aufmerksamkeit kann ein Kind nie zu viel bekommen. Je mehr uneingeschränkte Liebe ein Kind in frühen Jahren bekommt, desto selbstbewusster und stärker geht es später in die Welt hinaus.
Beim materiellen Verwöhnen jedoch gilt „Weniger ist mehr“ – ein von Spielzeug überquellendes Kinderzimmer überfordert das Kind und erzeugt erst recht Langeweile.

 

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2. „Wenn man das Baby zu viel trägt, verwöhnt man es“

Jedes Baby hat den angeborenen Urinstinkt, möglichst in der Nähe seiner Bezugspersonen zu sein. In der Steinzeit war es dort am sichersten vor diversen Gefahren, wie etwa einem Säbelzahntiger. Außerdem ist es darauf angewiesen, von einem Erwachsenen mit Nahrung versorgt und vor Kälte geschützt zu werden. Studien konnten auch belegen, dass Liebe, körperliche Nähe und Aufmerksamkeit lebensnotwendig für die Entwicklung eines Kindes sind. Nicht zuletzt sollte man auch bedenken, dass das Tragen in einem Tragetuch oder einer Babytrage dem Baby die Geborgenheit des Mutterlaibs vermittelt: Es kann den Herzschlag der Mutter hören, wird sanft gewiegt und ist warm eingewickelt.

3. „Babys sollten von Anfang an in ihrem eigenen Bett schlafen“

Allgemein gültige Grundsätze für den Schlafplatz und die Schlafgewohnheiten eines Babys gibt es nicht. Jede Familie sollte ihren eigenen Weg finden, der für alle Familienangehörigen stimmig ist. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Familienbett eine gute Möglichkeit sein, die Mutter-Kind-Bindung zu fördern, das nächtliche Stillen zu erleichtern und einen möglichst erholsamen Schlaf für Mutter und Kind zu ermöglichen. Für andere Familien ist es aber möglicherweise einfacher, wenn das Baby möglichst bald an ein eigenes Gitterbett gewöhnt wird oder/und im eigenen Babyzimmer schläft.

4. „Gegessen wird, bis der Teller leer ist“

Früher war man der Ansicht, das nur konsequentes Antrainieren der vorgegebenen Mahlzeiten zu einem gesunden Essverhalten führen würde. Heute raten Experten eindringlich von jeder Art von Zwang oder Überredungskunst ab.

Kinder sollten lernen, auf ihr eigenes Sättigungsgefühl zu hören, sonst haben sie als Erwachsene häufig Gewichtsprobleme.

Übermäßiges Drängen der Eltern führt meist nur zu einem unnötigen Machtkampf ums Essen. Babys und Kinder durchleben unterschiedliche Phasen, in welchen sie bestimmte Lebensmittel oder ganze Mahlzeiten verweigern. Diese gehen jedoch meist nach kurzer Zeit wieder vorbei. Abwechslungsreiche und gesunde Kost sollte geduldig immer wieder angeboten werden – und das wichtigste: Die Eltern sollten mit gutem Beispiel vorangehen.

5. „Eine Mutter sollte zu Hause bei ihrem Kind bleiben“

Früher war es unumstößlich, dass eine gute Mutter die ersten Lebensjahre ausschließlich zu Hause verbrachte. Job und Kind vertragen sich nicht. Neue Studien zeigen jedoch, dass auch arbeitende Mütter eine gute Mutter-Kind-Beziehung haben. Wichtig für die Entwicklung des Kindes sind kontinuierliche, liebevolle Bezugspersonen, die seine Bedürfnisse uneingeschränkt erfüllen, die Kinder trösten und umsorgen und eine enge Bindung aufbauen. Das kann neben den Eltern also auch eine Tagesmutter oder ein Kindermädchen sein.

Kinder schreien lassen ist gut für die Lungen – oder eine Gefahr für das ganze Leben?

In der Nazi-Zeit bekam jede Mutter den Erziehungsratgeber „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ von Johanna Haarer zur Verfügung gestellt. Haarer war allerdings keine Pädagogin oder Psychologin, sondern Lungenfachärztin, und ihr Werk ist geprägt vom Leitgedanken der Züchtigung und Unterwerfung. Informationen zum Buch auch im aktuellen Artikel (05/2018) im Blog „Berufungmami“.

Buch Cover: Haarer, Johanna - "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" Foto Quelle: Sachbuchforschung.de
Buch Cover: Haarer, Johanna – „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ Foto Quelle: Sachbuchforschung.de

Heute weiß man, dass es für das Kind fatale Folgen hat, wenn es einfach hilflos schreiend allein gelassen wird. Es kann kein Urvertrauen aufbauen und leidet sehr unter der fehlenden Zuwendung seiner Bezugspersonen. Dadurch kann es im späteren Leben Schwierigkeiten entwickeln, anderen Menschen zu vertrauen und stabile Beziehungen aufzubauen.

Das Schreien ist die einzige Ausdrucksform eines Babys und seine einzige Möglichkeit, um die für seine Entwicklung lebensnotwendige Liebe und Nähe zu bitten oder andere Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen.

Doch auch heute noch finden sich verschiedenste Methoden in den Bestsellerlisten der Elternratgeber, welche darauf beruhen, das Kinder schreien zu lassen. Besonders bekannt ist die „Ferber-Methode“, welche in abgewandelter Form auch im besonders umstrittenen Buch „Jedes Kind kann Schlafen lernen“ von Annette Kast-Zahn und Hertmut Morgenroth empfohlen wird. Dabei soll das Kind ins Bett gebracht werden und danach nach festgelegten Zeitdauer-Episoden schreien gelassen werden.

 

Solve Your Child's Sleep Problems: New, Revised, and Expanded Edition | Richard Ferber
Solve Your Child’s Sleep Problems | Richard Ferber

Dazwischen gehen die Eltern ins Zimmer, dürfen das Kind zum Trösten jedoch nur verbal beruhigen und nicht herausheben oder mit dem Schnuller beruhigen. Kleine Babys verstehen allerdings noch nicht, dass Mama oder Papa noch in der Nähe sind, wenn sie sie nicht mehr sehen können, und schreien aus purer Verzweiflung. Gehen die Eltern schließlich doch wieder ins Zimmer, lernen die Kleinen nur, dass nur durch ausdauerndes Schreien jemand kommt, der ihnen hilft.

Auch andere Inhalte des Babyratgebers sollten kritisch betrachtet werden: Babys unter einem Jahr verfügen noch nicht über die körperlichen Fähigkeiten, welche notwendig sind, um das im Buch geforderte „Durchschlafen“ zu schaffen. Sie benötigen auch Nachts in regelmäßigen Abständen Nahrung, Nähe und Beruhigung. Das von den Autoren von „Jedes Kind kann Schlafen lernen“ abgelehnte Familienbett wird von Experten als durchaus positiv für Kinder bewertet (unter Einhaltung bestimmter Kriterien).

 

Prof. Richard Ferber selbst hat die Aussagen, die er in seinem Buch „Solve Your Child’s Sleep Problems“ getroffen hat, später etwas relativiert. Er betonte, dass die Methode ursprünglich nur für Kinder ab 12 Monaten gedacht war und dass sie nicht universell für alle Familien anwendbar sei, man müsse sich die Situation immer im Detail ansehen um die Ursache für die Schlafprobleme des Babys zu finden.

Um an den Erfolg des Bestsellers „Jedes Kind kann Schlafen lernen“ anzuknüpfen, haben auch zahlreiche andere Autoren ihre Ideen und Varianten der Ferber-Methode in kreativen Buchtiteln verschiedener Babyratgeber zum Ausdruck gebracht. Hier ein paar Vorschläge: „Jedes Kind will schlafen“ von Rosey Cummings, Karen Houghton und Le Ann Williams, „Schlaf gut, mein kleiner Schatz“ von Gary Ezzo und Robert Bucknam oder „So lernen alle Kinder schlafen“ von Eduard Estivill.

Einen Beitrag mit wertvollen Tipps für „Babys Schlaf“ gibt es auch hier im Babyratgeber.

Woran erkenne ich einen guten Erziehungsratgeber?

Die wichtigste Grundregel für alle Eltern: vertraut auf euer Bauchgefühl! Jede Familie, jedes Kind und jede Lebenssituation ist anders, und für jedes Problem gibt es eine einzigartige Lösung. Universal-Methoden, die bei jedem Kind funktionieren sollen, sollten immer kritisch hinterfragt werden. Auch zu strenge Pläne und Vorgaben sind meist mit Vorsicht zu betrachten.

Lest euch die verschiedenen Ansätze und Meinungen durch, hört euch Erziehungstipps an – und holt euch das heraus, was euch für euer Kind und eure Familie wirklich stimmig erscheint und wobei ihr ein gutes Gefühl habt.

Sich zu informieren, wie Kinder ticken und warum sie gewisse Dinge tun, hilft auch, euer Kind besser zu verstehen und mit herausfordernden Situation gelassener umzugehen. Viele Ratgeber geben wirklich brauchbare Tipps und hilfreiche Informationen, aber letztendlich müsst ihr selbst entscheiden, welche davon ihr für euch anwenden wollt.

Richtet eure Aufmerksamkeit und euer Feingefühl auf euer Kind, es wird euch zeigen, was es wirklich braucht.

 

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